Interpretation und Kommunikationsanalyse

Der  Abschnitt von Seite 58 bis Seite 62 in dem Stück „der Gott des Gemetzels“ von Yasmina Reza, zeigt, wie sich die beiden Ehepaare gegenseitig Vorwürfe machen und es schließlich zusätzlich zum Streit zwischen den verheirateten Véronique und Michel kommt.

Am Anfang des Abschnitts appelliert Alain an Annette mit ihm aufzubrechen, da sie sich schon genug „Predigten“  angehört hätten (S.58, Z.9-10). Dies wird deutlich, da er das Wort „komm“ benutzt (S.58, Z.9). Seine hochgestochene Formulierung  „Predigten“ (S.58, Z.10) wirkt abwertend-ironisch, er fühlt sich angegriffen und möchte keine weiteren Vorwürfe hören. Dadurch, dass er das Wort „wir“ (S.58, Z.9) gebraucht spricht er auch im Namen seiner Frau. Er sieht sie also als eine Einheit, bevormundet sie aber zeitgleich.  Michel bringt daraufhin zum Ausdruck, dass ihn Ferdinands Gewalttätigkeit nicht verwundere, da dessen Eltern schlechte Vorbilder für den Jungen seien (S.58, Z.12-14). Die Worte „gehen Sie, gehen Sie“ (S.58, Z.12) drücken vielleicht den Wunsch Michels aus, die unangenehme Konversation zu beenden, werden durch den darauf folgenden Vorwurf (S.58, Z.13-15) aber wertlos, da dieser zu weiteren Diskussionen führt (S.58 ff). Obwohl er den Namen des Jungen der Reilles kennt, zeigt er mit seinem Einwurf „-wie heißt er noch gleich-“ (S.58,Z. 13) absichtlich Desinteresse und Abwertung gegenüber Ferdinand, zumal der Name vorab bereits schon öfter erwähnt wurde.

Als Gegenvorwurf kommt Annette auf den ausgesetzten Hamster zu sprechen (S.58, Z.15), der die Ehepaare einige Zeit beschäftigen wird. Hierbei handelt es sich um eine Interpunktion, sie wechselt abrupt das Thema um von den Vorwürfen gegen sie und ihren Mann abzulenken. Sie argumentiert, dass Michel nicht das Recht habe sie zu verurteilen, wenn er doch in ihren Augen viel schlimmere Dinge getan hat (S.58, Z.19-21). Véronique ist Annettes Meinung (S.58, Z.27) und fällt somit ihrem Ehemann „in den Rücken“. Michel versucht sich mit der Behauptung, der Hamster sei in Freiheit glücklicher (S.59, Z.3-5) herauszureden, was Véronique dementiert und ihn mit der Aussage, er habe Angst vor Nagetieren bloßstellt (S.59, Z.11). Das merkt man daran, dass er es zugibt, jedoch mit dem Zusatz, dass ihm alles was am Boden lebt fremd ist (S.59, Z.12-14). Das Wort „So!“ (S.59, Z.14) unterstützt auch die Annahme, dass ihm die Situation unangenehm ist, er fühlt sich in seiner Männlichkeit gekränkt. Alain schlägt sich auf Michels Seite, indem er Véronique Vorwürfe macht, warum sie den Hamster nicht geholt habe, er versucht Michel zu helfen (S.59, Z.15-16). Sie hat jedoch eine gute Begründung (S.59, Z.17-21). Die Kommunikation der beiden Paare ist gestört, es hagelt gegenseitige Vorwürfe und das eigentliche Thema, nämlich der Streit zwischen ihren Söhnen ist zur Nebensache geworden. Die Ehepaare halten zunächst zusammen und versuchen sich mit allen Mitteln zu rechtfertigen und zu verteidigen, eine sachliche Kommunikation kann so nicht stattfinden. Dieser Zusammenhalt wird aber im Verlauf der behandelten Szene schwächer; Die beiden Frauen machen Michel Vorwürfe aufgrund des ausgesetzten Hamsters, während  Alain Michel zeitweise beisteht, indem er Véronique hinterfragt (S.59, Z.15) Daher kann auf diese Weise das Problem nicht gelöst werden.

Es folgt eine Episode, in der sich Michel und Véronique immer weiter entzweien. Michel ist der Meinung, dass die Reilles es nicht würdigen das er so großzügig war sie in sein Haus einzuladen um die Sache zu klären (S.60, Z.1-4), er erwartet Anerkennung  für seine „gute Tat“, dies lässt sich an der Aussage „…, und zwar Leuten, die mir das hoch anrechnen müssten“ (S.60, Z.3-4) belegen. Alain hat den Eindruck, dass Michel sich als guten Kerl darstellt (S.60, Z.5-6), das Wort „Fabelhaft“ (S.60, Z.5) ist ironisch gemeint. Mit dem Satz „Ich lasse mir mein Verhalten nicht von einer neunjährigen Rotznase diktieren!“ (S.60, Z.20-22) verdeutlicht er seine Autorität gegenüber seinen Kindern und seiner Frau, er will damit klarstellen, dass er der Mann im Haus ist und das Sagen hat. Alain stimmt Michel zu (S.60, Z.23), dies bestärkt Michel auf die Seite von Alain zu wechseln und er droht dies seiner Frau an (S.60, Z.25-27). Annette stachelt den Streit weiter an, indem sie Michel fragt wie denn ihr Sohn Reue empfinden solle, wenn er es auch nicht täte (S.61, Z.7-8). Um davon abzulenken wechselt Michel nun das Thema (S.61, Z.9-14), eine weitere Interpunktion. Er sagt „wir wollten nett sein“ (S.61, Z.10-11). Durch den Gebrauch des Verbs „wollen“ (S.61, Z. 11) wird klar, dass er dieses Vorhaben für gescheitert hält. Er erwähnt die gekauften Tulpen und die Versuche seiner Frau, ihn als Gutmenschen hinzustellen (S.61, Z.11-12) um auszudrücken, dass sie durchaus willens gewesen waren, eine Einigung zu finden. Er gibt zu, keine Selbstkontrolle zu haben und ein Choleriker zu sein (S.61, Z.13-14), somit zeigt er sein wahres Gesicht, seine Hemmungen fallen, er sieht es nichtmehr ein den Reilles etwas vorzuspielen. Alain versucht die Situation zu „entschärfen“ indem er sagt: „Das sind wir alle“ (S.61, Z.15). Daraufhin fühlt sich jedoch Véronique angegriffen, da sie sich nicht für eine Cholerikerin hält, Alain lenkt ein um sie zu beruhigen (S.61, Z.16-19).

Die Einheit des Ehepaars Houillé bricht nun vollkommen auseinander. Michels Aussage, sie sei eine kultivierte Frau, die vor solchen Entgleisungen sicher sei, „trieft“ geradezu vor Ironie (S.61, Z.20-21). Seine Frau greift dies sofort auf und fühlt sich angegriffen, was sie auch zum Ausdruck bringt (S.61, Z.22). Er behauptet jedoch das Gegenteil, er tut so als ob er es ernst gemeint hätte (S.61, Z.23). Véronique denkt aber, dass er sich seiner Attacke durchaus bewusst ist (S.61, Z.24-25), dies wird deutlich weil sie sagt „das weißt du genau“ (S.61, Z.24-25). Als Michel sagt das er sich zu dem treffen „bequatschen“ (S.61, Z.27) lassen hat, streitet sich das Ehepaar weiter. Dieser Ausdruck signalisiert den Unwillen Michels, überhaupt dieses Gespräch zu führen, schon vor der stattfindenden Entgleisung.  Er wirft ihr vor es reiche ihr für zivile Umgangsformen zu kämpfen (S.62, Z.3-4), daraufhin ist Véronique den Tränen nahe (S.62, Z.6-7), vermutlich vor Wut, sie sagt „zum Glück gibt es Leute, die das tun!“ (S.62, Z.6) damit will sie sagen, dass sie ihrer Meinung nach die einzige im Raum ist, die das Gespräch in eine positive Richtung lenken will. Eine Anklage an ihren Mann, nicht ebenfalls dieses Ziel zu verfolgen, schwingt unmissverständlich mit. Mit „bitte, bitte…“ (S.62, Z.8) versucht Alain den Streit zu schlichten und auch Annette versucht sie zu beruhigen (S.62, Z.11-12). Doch er hat keine Chance, Véronique weint (S.62, Z.13), sie fühlt sich allein gelassen und gedemütigt (S.62, Z.21-23). Die Kommunikation zwischen den Erwachsenen ist nicht gelungen, der eigentliche Grund des Treffens ist in diesem Abschnitt komplett in den Hintergrund gerückt, keiner geht wirklich auf den anderen ein, es werden nur Vorwürfe geäußert und versucht einander ein schlechtes Gewissen einzureden. Durch die vielen „Du- Botschaften“ wird die Wut aufeinander geschürt. Der Vergleich der Prügelei der Jungen mit dem aussetzten des Hamsters ist eine Verallgemeinerung, Michel Vorwürfe wegen des Hamsters zu machen bringt außerdem nicht die Problemlösung voran. Die Personen zeigen in diesem Abschnitt keine Achtung und Wertschätzung füreinander. Auf der Beziehungsebene wird deutlich das Véronique und Michel ein Problem in ihrer Ehe haben, das sie normalerweise nicht an die Öffentlichkeit tragen, in dieser emotionalen Streitsituation vergessen sie allerdings ihren Anstand und zeigen ihr wahres Gesicht. Die Kommunikation zwischen den Ehepaaren ist symmetrisch.

2 Gedanken zu “Interpretation und Kommunikationsanalyse

  1. Du als Verfasser scheinst dir wirklich sehr, sehr viel Mühe gegeben zu haben! Deine Arbeit ist schwierig zu kommentieren, denn es wird natürlich sehr sachlich berichtet. Gut nachvollziehbar aufgrund der Zitate und Buchangaben. Wie gesagt, sachlich, gut nachvollziehbar.
    Mit deiner Analyse kann ich mich identifizieren, denn ich habe jene Situation als ähnlich empfunden und interpretiert.

    Lieben Gruß von Gesine

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